Etwas später als geplant bin ich dann auch mal zu Crysis 2 gekommen – was ja heutzutage gar nicht schadet, ein paar Wochen nach Start sind viele Spiele dann schon günstiger und mit dem dritten Patch dann auch weitestgehend Bug-bereinigt.
Über Crysis 2 wurde zudem eigentlich schon genügend geschrieben, wobei insbesondere die Spielemagazine das Spiel zumeist in den Himmel hochloben. Ganz verdient hat das Spiel eine solche Wertung eigentlich nicht, denn besonders am Anfang fehlt einiges an Esprit: Die Kämpfe gegen die Söldner sind ein wenig unglücklich ausbalanciert, weil man zumeist nur mit einer durchgehenden Stealthtaktik eine Chance hat. Was bei Crysis 1 noch eine nette Bereicherung des Spiels war, wird bei Crysis 2 leider zum Zwang, weil ein Rambo-mäßiges Vorgehen selbst in Teilen äußerst riskant ist. Dies mag so geplant sein, senkt aber deutlich die Spielermotivation, wenn man jetzt ein Dutzend Level mit ausschließlich Stealthsniper-Kills vor sich hat.
Gegen eine riskante Taktik sprechen auch die automatischen Savepunkte, welche jedoch bei weitem nicht ausreichen und daher oft dazu führen, daß man große Teile eines Levels mehrfach neu spielen muß, nur um zur einzigen kritischen Stelle zu kommen. Es ist ein wenig unklar, wieso diese offensichtliche Macke des Spiels – die man zudem ganz einfach durch weitere automatische Savepunkte hätte beseitigen können – nicht beim Betatest aufgefallen ist. Am Ende dieser ganzen Problematik ist es leider so, daß ich nahezu das komplette Spiel im Stealth-Modus durchgelaufen bin – und immer in Deckung und Aufladen, wenn der Stealth-Modus zu Ende ging. Wie gesagt: Als zusätzliches Element ist der Stealth-Modus erste Sahne, aber das Spiel sollte auch ohne gut spielbar sein, das haben die Entwickler nicht beachtet.
Mit fortschreitender Spieldauer wird das Spiel allerdings besser, gibt es ein paar Aha-Effekte, neue Gegner und wird die zugrundeliegende Story besser sichtbar (während man am Anfang noch einfach so Aufträge ausführt, die ein bißchen wie Zeitschinden aussehen). Es fehlen allerdings ein wenig ein paar durchschlagkräftigere Waffen – kann ja keiner sagen, daß man in einer Nanosuit nicht die PS-Reserven dafür hätte, auch mal schwereres Kriegsgerät in die Hand zu nehmen. So bleibt alles, was man tut, sehr der Präzision verpflicht – sauber Schüsse und Treffer sind Trumpf, ein Oldschool-Shootout aka mit voller Feuerkraft frontal draufhalten ist leider kaum möglich. Ein wenig stellt sich schon die Frage, wieso man unbedingt eine Nanosuit braucht, wenn die einzig sinnvolle Taktik "Schleichen, Heatshot, Deckung" ist.
Nun gut, dies ist allerdings Kritik auf hohem Niveau, denn in vielen anderen Punkten macht Crysis 2 seine Sache sehr gut: Exzellente Grafik zusammen mit guter Action ohne größere Schwächephasen und sehr anständiger Spielzeit (von geschätzt ca. 15 Stunden) – und vor allem wird das Spiel zum Ende hin stärker, was nun einmal wichtig ist für den Gesamteindruck. Das Ziel eines markanten, lange die Diskussion beherrschenden Spieletitels verfehlt man allerdings klar – dafür fehlen sowohl der große Clou als auch viele kleine Dinge. Ironischerweise kommt im Rückblick Crysis 1 viel eher an diese Wertung heran, sicherlich zum Teil wegen der für diese Zeit extraorbitanten Grafikpracht, aber auch wegen des Insgesamteindrucks: Crysis 1 macht (mit den richtigen Mods) deutlich mehr Fun, bei Crysis 2 gibt es doch einige Stellen, wo man sich einfach nur durchkämpft, damit sie möglichst schnell vorbei sind.
Dies macht Crysis 2 im Insgesamteindruck allerdings nicht zu einem schlechten oder mittelmäßigen Titel, dafür ist das gebotene dann doch viel zu gut. "Hochklassig" ist das absolut richtige Wort – es deutet ein insgesamt gelungenes Spiel an, sagt aber auch aus, daß es nicht das beste ist, was man sich vorstellen kann. Und vor allem gegenüber der bisherigen Konkurrenz kommt Crysis 2 sehr gut weg: Medal of Honor und Homefront sind gutklassig, aber auch beiderseits arg kurz, Call of Duty: Black Ops war dagegen nur besserer Durchschnitt (zu sehr auf den nervigen Verwirrungseffekt angelegt).
Dies zeigt sich dann auch in der Frage des Wiederspielwertes: Black Ops wird da keine Chance mehr in diesem Leben bekommen – schon allein deswegen, weil die ständigen Zwischensequenzen nicht abbrechbar sind und beim zweiten Durchspielen noch mehr nerven dürften als schon beim ersten. Homefront hat einen gewissen Wiederspielwert (mit ein wenig mehr Abstand), Medal of Honor einen definitiven (gute Kriegsaction) – doch Crysis 2 steht klar über diesen, obwohl es viel frischer ist. Und vielleicht findet sich mit der Zeit auch ein Waffen-Mod für Crysis 2 ein, welcher ein wenig mehr Feuerpower gibt und damit auch ab und zu den Rambo-Modus möglich macht.