Über den 2010er Reboot der Medal-of-Honor-Spieleserie gab es im Vorfeld viel Wirbel: Einen noch real laufenden Konflikt als Thema, ein angeblich neuer Realismus durch die Einbindung von höchstklassigen US-Spezialkräften in die Spieleproduktion und letztlich die Taliban als spielbare Partei im Multiplayer-Modus. Dabei erweist sich dies alles nach dem Genuß des Spiels als cleveres Marketing, denn das neue Medal of Honor ist weit gewöhnlicher als es die Vorab-Ankündigungen vermuten lassen.
Am deutlichsten entpuppt sich die Wahl des Themas als Mogelpackung: Wer erwartet hatte, daß es hierbei um den aktuellen asymetrisch geführten Konflikt in Afghanistan geht, wird arg enttäuscht werden – denn das neue Medal of Honor spielt zur Zeit der US-Invasion in Afghanistan anno 2001. In dem Sinne handelt es sich damit dann doch wieder nur um einen schon abgeschlossenen Konflikt, denn das aktuelle Kriegsgeschehen in Afghanistan unterscheidet sich doch extrem von dem Kriegsgeschehen der seinerzeitigen US-Invasion, in welcher die regulären Taliban-Truppen von einer materiell drückend überlegenen Invasionstruppe innerhalb kürzester Zeit überrollt wurden.
Wenigstens gibt das neue Medal of Honor damit mal eine ehrliche Begründung für die Horden an unterbelichteten Gegnern, die einem in den meisten Shooterspielen entgegenbranden – die meistens ein Mann alleine (oder eine Squad, was aufs gleiche herauskommt) eliminieren soll. Im neuen Medal of Honor mag dies mal ausnahmsweise der Realität entsprechen, spannender für den Spieler wird es dadurch aber auch nicht. Dafür hätte man sich eventuell auf den aktuellen asymetrisch geführten Konflikt konzentrieren müssen – vielleicht hätte sich daraus dann weniger eine Heldenoper auf die US-Streitkräfte basteln lassen, aber interessanter wäre es allemal gewesen (vielleicht sogar mit der Möglichkeit zu zweifelhaften moralischen Entscheidungen durch den Spieler – was für eine vergebene Gelegenheit).
Somit bleibt das neue Medal of Honor nur ein überdurchschnittlicher Shooter, welcher zumeist knackige Action bietet, nicht viel falsch macht und sogar hier und da ein paar Aha-Erlebnisse bietet. Zur Größenklasse eines Modern Warfare fehlt dann aber noch einiges – wobei die Ansätze hierfür beim neuen Medal of Honor zweifelsfrei vorhanden sind und daher die Entwickler ihren Weg einfach weitergehen sollten. Die Call-of-Duty-Spieleserie erlangte ihren jetzigen Status schließlich auch nicht schon mit dem allerersten Spiel.
Wenn allerdings etwas schwer aufstösst beim neuen Medal of Honor, dann ist es die Spielzeit: Mit ein paar Unterbrechungen war die Sache in sechs Stunden Realzeit zu Ende, die effektive Spielzeit dürfte also vier bis fünf Stunden betragen haben. Als der Abspann lief, war ich nicht nur gerade erst warm geworden – vielmehr wären die vorherigen Missionen genau das richtige für einen guten Prolog gewesen, auf dann das eigentliche Spiel folgt. So habe ich mit der seinerzeitigen Demo-Version des 2002er Medal of Honor: Allied Assault (durch wiederholtes Spielen) deutlich mehr Zeit zugebracht als mit der Vollversion des 2010er Medal of Honor.