Und erneut: Das Thema "Killerspiele"

Donnerstag, 12. März 2009
 / von Leonidas
 

Wir schreiben fast sieben Jahre nach Erfurt und zweieinhalb Jahre nach Emsdetten – und es ist gestern in Winnenden erneut passiert. Wieder gibt es den Amoklauf eines jungen Menschen, gerade an der Schwelle zum Erwachsenenalter – und wieder gibt es das teilweise hilflose, teilweise populistische Agieren der Medien und der Politik zu Auslösern, Hintergründen und Ursachen.

Dabei hat es wieder nur einen Tag gedauert, ehe das Thema "Killerspiele" in den Blickwinkel gerückt ist – nachdem die ermittelnden Beamten nun entsprechend einschlägiges Material auf dem Computer des Täters gefunden hat, ist die Hetzjagd offenbar wieder eröffnet. Dies ist umso bemerkenswerter, als daß gestern noch viele Politiker vor Schnellschüssen bezüglich weiter verschärfter Waffengesetze gewarnt haben: Noch am Tag der Tat wurden die Waffengesetze also verteidigt, während die "Killerspiele" nunmehr (erneut) zum undifferenzierten Abschuß freigegeben sind.

Und an dieser Stelle verlassen wir die sonst uns gebührende Position des berichtenden Beobachters und erheben unsere Stimme: Es reicht einfach! Diese undifferenzierte Betrachtung gerade der Fälle "Waffen" und "Computerspiele" muß endlich aufhören. In allen drei Amokfällen hatten die Täter einen guten Zugang zu Waffen, während nur in zwei von drei Fällen Computerspiele mit zum täglichen Zeitvertreib der Täter gehörten. Zudem ist der Fund sogenannter "Killerspiele" bei männlichen Jugendlichen heutzutage ungefähr so überraschend wie der Fund von Brot – das ist in einer gewissen Altersgruppe schlicht blankste Normalität, unnormal wäre es vielmehr, diesbezüglich nichts zu finden.

Insofern ist es uns schleierhaft, wie ein Polizeisprecher zur im Fernsehen geäußerten Auffassung kommen kann, daß ein Spiel wie "Counter-Strike" ins typische Profil von Amokläufern passen würde. Man kann den Vereinigungen und Clans von Counter-Strike-Spielern nur empfehlen, rechtliche Schritte gegen diese Aussage zu überprüfen, denn dies ist eine pauschale Verunglimpfung Dutzender Millionen friedlicher und friedliebender Computerspieler auf der ganzen Welt. Unklar ist zudem, wieso die einfache Wahrheit nicht verstanden werden kann, daß wenn das Spielen von "Counter-Strike" bei nur einem kleinen Bruchteil der Spieler zu realen Gewalttaten führen würde, wir mit einem täglichen Amoklauf konfrontiert wären – angesichts der puren Masse an Spielern von Counter-Strike und anderen "Killerspielen".

Gleichzeitig muß der Begriff der "gewaltverherrlichenden Spiele" hiermit scharf angegangen werden, weil allein der Begriff schon Meinungsmache in eine vorgegebene Richtung ist. Die sogenannten "Killerspiele" oder aber auch ganz allgemein gewalthaltige Spiele sind aber nicht automatisch "gewaltverherrlichend" im eigentlichen Sinne des Begriffs. "Gewaltverherrlichend" kann etwas schließlich nur sein, wenn das Spiel selber die Gewalt in unzweifelhafter Art und Weise durch konkret sich darauf beziehende Handlungen und Äußerungen verherrlicht. Nur weil es in den Augen von Betrachtern (die meisten nicht einmal selber spielen und damit eigentlich unbeteiligte Außenstehende sind) wie eine Gewaltverherrlichung aussieht, muß dieses noch lange nicht so sein.

Konkret müsste ein Spiel die Gewalt um der Gewalt willen als eigenständige Meinung des Spiels gegenüber dem Spieler ausdrücklich positiv bejahen, um das Prädikat "gewaltverherrlichend" wirklich zu verdienen. Nur weil der Spieler im Spiel die Möglichkeit hat, besonders gewalttätig zu sein, ist ein Spiel nicht "gewaltverherrlichend" – wenn der Spieler diese Möglichkeit ergreift, könnte man dem Spieler wohl ein gewaltverherrlichendes virtuelles Verhalten nachsagen, das Spiel selber wäre aber damit nicht automatisch "gewaltverherrlichend". Eine Gewaltverherrlichung im Sinne des Begriffes ist immer vom Macher (nicht vom Spieler) so gedacht und drängt sich immer dem Beobachter oder Nutzer unmittelbar auf. Die reine Möglichkeit, selbst so zu handeln, erfüllt diese Definition mitnichten – es ist zum einen eine freie Entscheidung des Spielers, zum anderen gibt es kein Gesetz, welches gewaltverherrlichendes Denken und dementsprechendes virtuelles Handeln im Rahmen eines Spiels verbietet.

Insofern ist es abzulehen, ein Counter-Strike etc. als "gewaltverherrlichend" einzuschätzen – egal ob nun über offizielle Jugendschutzbehörden, Politiker oder auch die Medien – weil das Spiel selber definitiv nicht Gewalt verherrlicht. Das Spiel zeigt Gewalt und Gewalt ist in diesem das nahezu einzige Mittel zur Problemlösung – aber diese Charakteristiken sind noch lange nicht der Maßstab für eine Gewaltverherrlichung. Wäre dem so, könnte man umgehend die Spezialeinsatzkräfte der Polizei sowie die gesamte Bundeswehr als "gewaltverherrlichend" einstufen, weil dort absolut nichts anderes passiert. Uns ist jedoch bislang nicht bekannt, daß die Bundeswehr (oder deren Werbung, welche ja auch ausdrücklich auf Jugendliche abzielt) mit einem Indizierungsantrag bedacht wurde ;).

Genauso wenig definiert sich eine "Gewaltverherrlichung" über das Maß an Brutalität, welches ein Spiel zeigt. Eine besondere Brutalität mag gerade auf den unbeteiligten Beobachter abstoßend wirken, die Definition von "Gewaltverherrlichung" wird damit jedoch nicht erfüllt – dies entscheidet sich wie schon vorstehend ausgeführt an der Frage, mit welchem Wertmaßstab das Spiel die Gewalt selber belegt. Teilweise kann man es aus psychologischer Sicht sogar genau anders herum sehen: Der Verzicht auf eine realistische Darstellung der Auswirkung von Gewalt läßt die Gewalt zum "Scherz" verkommen und vermittelt unbewußt die Botschaft, daß Gewalt keine ernsthaften körperlichen Folgen für die Opfer nach sich ziehen würde.

Genau aber an diesem Beispiel können dann sogar die Gegner von "Killerspielen" ermessen, daß ihre simple Theorie "Anschauen auf dem Bildschirm = reale Tat" nicht funktioniert. So einfach sind Menschen nun doch nicht gestrickt – und eigentlich ist die Diskussion darüber auch schon müßig, denn wenn (wie schon gesagt) "Killerspiele" wirklich Amokläufer heranbilden oder wenigstens anstacheln würden, dann müsste es deutlich mehr Amokläufe von Computerspielern geben – angesichts der Masse der Spieler von "Killerspielen". Jeder, der jetzt noch auf dieser uralten Simplifizierung herumreitet, hat seine Hausaufgaben bei einigen grundlegenden Fakten nicht gemacht und disqualifiziert sich damit automatisch für jede Diskussion.

Doch wenn wenn es nur darum gehen würde, das Hobby von Millionen friedlicher Computerspieler zu verteidigen, wäre dieser Text nahezu gegenstandslos. Darum geht es aber nicht primär, denn: Diese Zeit, welche unsere Obrigkeit (angetrieben von den Medien und der sogenannten "öffentlichen Meinung") damit verbringt, einen Scheiterhaufen für die "Killerspiele" aufzuschütten, geht verloren in der Diskussion über wirklich sinnvolle Maßnahmen und Gesetzesänderungen, zudem wird damit auch die ernsthafte Forschung nach Hintergründen und den daraus zu ziehenden Lehren zugeschüttet. Und dies ist der inakzeptable Grund: Ohne ehrliche, unvoreingenomme und faktengetreue Analyse kommen wir keinen Schritt weiter – und damit droht irgendwann der nächste Amoklauf.

Und nicht nur das, wir setzen hier noch einen drauf: Der Fehler, nicht ehrlich zu analysieren, wurde schon nach Erfurt gemacht (und nach Emsdetten wiederholt). Das bedeutet für uns auch: Wir hätten jetzt schon schlauer sein können, hätten jetzt eventuell schon die Schritte in die richtige Richtung anstatt in die falsche gemacht haben können. Daß dies unterblieben ist, ist ein Versagen der Politik, welche damit auch eine moralische Mitschuld an dem neuesten Amoklauf in Winnenden trifft. Ja, wir betonen das noch einmal ausdrücklich: Das Blut der Opfer klebt auch an den Händen dieser Politiker, welche Erfurt und Emsdetten lieber dazu benutzt haben, ihr Wählerklientel mit einfachen Unwahrheiten zu befriedigen, anstatt aufgabengemäß das Problem wirklich anzugehen.

Dies mag eine drastische Aussage sein, aber irgendwann kann man nach dem dritten derartigen Vorkommnis nicht mehr die Hände in den Schoß legen und was von "Schicksal" reden – irgendwann muß dann auch einmal abgerechnet werden, wer sich ernsthaft bemüht hat und wer nur auf die Populismus-Trommel geschlagen hat. Wieviele Amokläufe brauchen wir denn noch, bevor wir alle einsehen, daß bisher nur Symbolpolitik ohne jeden Gehalt betrieben wurde und daß sich an die eigentlichen Ursachen doch niemand wirklich heranwagt hat?!

Dabei wäre gerade jetzt die Zeit reif, um sich ernsthaft den eigentlichen Ursachen zuzuwenden (und wenn nicht jetzt, wann dann). Selbst wenn im schlimmsten Fall "Killerspiele" die Spieler gegenüber Gewalt abstumpfen (was noch nicht erwiesen ist und nebenbei in gewissen Berufen sogar gezielt erlernt wird) und selbst wenn der zu leichte Zugang zu Waffen in allen drei Fällen nur als förderndes Mittel und niemals als Auslöser anzusehen ist (weil auch in Schützenvereinen Millionen Menschen friedlich ihrem Hobby nachgehen, ohne das etwas passiert – no offense gegenüber Schützenvereinen und Sportschützen), bleibt ja immer noch die Frage übrig, was die jeweiligen Täter zu ihrer Tat getrieben hat.

Und dies läßt sich für alle drei Fälle erstaunlich übereinstimmend skizzieren: Unsere Gesellschaft hat diesen jungen Menschen keine wirkliche Entfaltungsmöglichkeit gegeben, sondern einfach nur unter unpersönlichen und undifferenzierten Leistungsdruck schon im Jugendalter gesetzt. Heutztage haben die Menschen einfach zu funktionieren: Lernen bzw. Arbeiten bis zum Anschlag und keine Fragen stellen, daß ist der ideale Bürger in der Bundesrepublik unserer Tage. Unsere Politiker mögen für diese Erkenntnis zu alt oder/und zu angepasst, aber gerade Jugendlichen fällt die ungeheure Diskrepanz unserer aktuellen Gesellschaft zwischen Selbstdarstellung und Realität besonders auf.

Was soll man auch als Heranwachsender heutzutage denken, wenn einem zu Hause, in der Schule und auch seitens der Gesellschaft Verantwortung, Moral und Gesetzestreue vermittelt wird – und man dann mit der Zeit immer mehr mitbekommt von der realen Welt und diese doch so viel anders aussieht als hehren Vorsätze, welche einem allerorten ans Herz gelegt werden? Was vermitteln wir Jugendlichen dadurch, daß wir auf der einen Seite "Killerspiele" als angeblich "gewaltverherrlichend" verbieten wollen, auf der anderen Seite reale Kriege mit realen Opfern führen – und dies sogar noch gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit?! Was vermitteln wir dadurch, daß wir diejenigen, welche die Finanzkrise verschuldet haben, mit inzwischen weltweit über einer Billion Dollar retten, gleichzeitig aber nicht diese 30 Milliarden (1/33 einer Billion!) aufbringen, um weltweit hunderte Millionen Menschen dauerhaft vom Hunger zu befreien?!

Man sagt immer gern, daß alles was wir tun, für unsere Kinder getan wird. Gegenfrage zurück: Tun wir dies derzeit wirklich? Bauen wir wirklich eine für unsere Kinder (egal ob wir schon welche haben oder nicht) lebenswerte Welt auf? Geht es irgendwo bei wirklich relevanten Themen vorwärts, sind entscheidende Entwicklungen in die richtige Richtung zu sehen? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir diese Frage schon seit Jahrzehnten mit "Nein" beantworten. Schlimmer noch: Wir bringen die Welt nicht nur nicht vorwärts, wir treiben sie auch noch durch unseren Raubbau an der unwiederbringlichen Natur samt deren Bodenschätzen immer weiter in die Nähe des Abgrundes. Wir werden vermutlich unseren Kindern eine schlechtere Welt hinterlassen als unsere Eltern sie uns übergeben haben.

Ist es also so verwunderlich, wenn es Leute gibt, die einen solchen Hass auf diese Gesellschaft entwicklen, daß sie selbst bereit sind, daß Leben völlig Unschuldiger zu nehmen, nur um mit einem möglichst großen Knall (und willfähriger Unterstützung der ereignisgeilen Medien) zu gehen? Dieser Hass mag nicht gerechtfertigt sein, die Anwendung von Gewalt ist es noch viel weniger – aber daß Hass entsteht, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind und daß dieser Hass auch in Gewalt umschlagen kann, ist nun keine besonders neue oder spannende Erkenntnis.

Wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, dann tun wir derzeit alles dafür, daß Erfurt, Emsdetten und Winnenden wieder passieren werden. Wir suchen wieder einen einfachen Schuldigen ("Killerspiele"), wir mauern wieder bei einfachen, aber wirkungsvollen Maßnahmen (bessere Kontrolle von Schußwaffen) und wir lassen wieder eine echte gesellschaftliche Diskussion darüber, was die Täter wirklich zu ihrer Tat getrieben hat, im Schlagfeuer der Boulevardmeldungen versanden. Damit werden wir nichts erreichen, weder in der Frage des konkreten Schutzes vor Amokläufen, noch in der Frage, den Entschluß zur Tat als solches überhaupt nicht aufkommen zu lassen.

Womit wir letztlich noch einmal wieder zurückkommen zu den "Killerspielen": Angesichts der Unfähigkeit von Medien, Öffentlichkeit und Politik, die offen darliegenden Tatgründe zu begreifen, wie auch die bisher falschen Reaktionen auf vergleichbare Taten zu registrieren, kann nur noch entschieden gesagt werden: Hände weg von den "Killerspielen"! Wenn unsere Politiker unfähig oder nicht gewollt sind, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, ist das die eine Sache. Aber damit, daß man sich an den "Killerspielen" billig sein Mütchen kühlt, muß jetzt endlich Schluß sein. Wir als Computerspieler lehnen es ab, für das Versagen der Politik und der Gesellschaft immer wieder als Sündenbock dazustehen – ganz besonders, weil damit die eigentliche Problematik nicht angegangen wird und somit weitere Amokläufe in der Zukunft vorhersehbar sind.

PS: Man beachte bitte hierzu auch unsere neue, kurzfristig zwischengeschobene Umfrage in der rechten Seitenleiste (oder per Direktlink erreichbar).

PS2: Die in diesem Artikel gebrachten Anmerkungen, welche ins politische gehen, sind nicht dazu gemacht worden, um für irgendeine politische Richtung zu werben. Es ging hierbei einzig und allein darum, ein Beispiel zu illustrieren, welche zur Desillusionierung von heranwachsenden Menschen beiträgt, dafür wurde ein sehr allgemeines Beispiel gegriffen. Dies ist jedoch keine Aussage darüber, ob die damit vermeintliche zu verbindende politische Ansicht richtig ist oder nicht, dies gehört nicht in diesen Artikel hinein.