nVidias GPU Boost auf der GeForce GTX Titan: Gut für Benchmarks, aber ohne Bedeutung für die Spielepraxis

Montag, 13. Mai 2013
 / von Leonidas
 

Der HT4U-Artikel zur GeForce GTX Titan und insbesondere dessen umfangreiche Ausführungen zum Thema "GPU Boost" wurde an dieser Stelle schon einmal kurz erwähnt, wir wollen diesen Artikel hiermit aber noch etwas genauer betrachten. Mittels dieses Artikels stehen (teilweise erstmals) exakte Benchmarks unter allen möglichen Bedingungen zur Verfügung, welche nVidias GPU Boost beeinflussen können: Auf offenem Teststand oder im Gehäuse, mit 21°C oder 25°C Raumtemperatur, anstatt nur ein einzelnes Spiel ein Schnitt von gleich 15 Spiele-Titeln – und natürlich vor allem mit verschiedenen Meßpunkten bis zu 15 Minuten im Spielebetrieb, so daß sich die Grafikkarte (wie in der Spiele-Realität) ordentlich aufheizen kann. Und dies ergibt dann doch sehr konsternierende Ergebnisse bezüglich der Praxiswirkung von GPU Boost auf der GeForce GTX Titan:

offener Teststand
21°C Raumtemperatur
geschlossenes Gehäuse
21°C Raumtemperatur
geschlossenes Gehäuse
25°C Raumtemperatur
Start 993 MHz 993 MHz 993 MHz
nach 1 Minute Ø 931,5 MHz Ø 901,9 MHz Ø 870,7 MHz
nach 5 Minuten Ø 917,5 MHz Ø 881,9 MHz Ø 844,7 MHz
nach 10 Minuten Ø 916,6 MHz Ø 875,0 MHz Ø 840,3 MHz
nach 15 Minuten Ø 911,4 MHz Ø 873,3 MHz Ø 837,7 MHz

Zwei Effekte werden hiermit klar nachgewiesen: Zum einen der Einfluß der Benchmark-Länge bzw. der Vorwärmphase auf den Boost-Takt, welcher selbst unter idealen Bedingungen im offenen Teststand bei 21°C Raumtemperatur deutlich geringer ausfällt als direkt zum Spielstart. Und zum anderen die hohe Differenz zwischen (bei Grafikkarten-Testern üblichen) offenem Teststand und geschlossenem Gehäuse sowie zwischen 21°C und 25°C Raumtemperatur. Damit lassen sich zwei Erkenntnisse treffen: Zum einen ist der von nVidia für die GeForce GTX Titan angegebene "durchschnittliche Boost-Takt" von 875 MHz durchaus zutreffend, sofern man ein geschlossenes Gehäuse mit 21°C Raumtemperatur ansetzt – in diesem Fall werden nach 10 Minuten Spieldauern exakt 875,0 MHz durchschnittlicher Boost-Takt erreicht, nach 15 Minuten Spieldauer sind es mit 873,3 MHz nur unwesentlich weniger.

Nun kann man diese Herangehensweise von nVidia bei der Ansetzung des offiziellen durchschnittlichen Boost-Takts durchaus verstehen, werden 21°C Raumtemperatur in der PC-Branche gern als Standard für alle möglichen Messungen und Referenzangaben angesetzt. Dies spielt wohl keine Rolle, so lange es nicht zu Messungen auf 25°C Raumtemperatur einen so bemerkbaren Unterschied gibt: In diesem Fall aber bedeuten 25°C Raumtemperatur, daß die GeForce GTX Titan nach 15 Minuten Spieldauer mit 837,7 MHz durchschnittlichem Boost-Takt nahezu auf ihren Referenztakt von 836 MHz zurückfällt, GPU Boost also faktisch gar nichts mehr bringt. In Nord- und Mitteleuropa werden 25°C Raumtemperatur zwar nur in einer Jahreszeit erreicht, in allen wärmeren Erdregionen sind diese (und höhere) Temperaturen jedoch über eine längere Zeit des Jahres präsent – und selbst beim Einsatz einer Klimaanlage regelt man jene gewöhnlich nicht auf unterhalb von 25°C Raumtemperatur herunter.

Nichtsdestotrotz ist das ganze eine Auslegungsfrage – ob man den erreichten Wert auf 21°C oder auf 25°C Raumtemperatur als Referenzwert ansetzt. Für Mitteleuropa mag gelten, daß der Wert auf 21°C Raumtemperatur die Sache besser trifft, da 25°C gewöhnlich nur tagsüber im Sommer erreicht werden. Trotzdem muß der Mitteleuropäer einkalkulieren, daß die GeForce GTX Titan bei ansteigender Raumtemperatur ihren Boost-Modus faktisch nicht mehr ausspielen kann. Für Bewohner anderer, generell wärmerer Regionen gilt dies sogar dauerhaft: Wer meistens oder durchgehend bei rund 25°C Raumtemperatur unterwegs ist, kann den Boost-Modus gleich ganz abschreiben. Der sich hierbei ergebende Performance-Unterschied ist mit 2-3% glücklicherweise nicht gerade spürbar groß.

Das ganze hat eigentlich auch klare Auswirkungen auf die generelle Performance-Bewertung der GeForce GTX Titan: Testberichte, welche mit offenem Teststand zu 21°C Raumtemperatur und ohne jede Vorwärmphase messen, werden maßgeblich andere Ergebnisse aufzeigen als Testberichte, welche mit geschlossenem Gehäuse bei wiederum 21°C Raumtemperatur und aber einer Vorwärmphase von mindestens 10 Minuten operieren. Gemäß obiger Tabelle wird dabei in ersterem Fall ein durchschnittlicher Boost-Takt von zwischen 917 und 931 Minuten anliegen (je nach Benchmark-Länge), in zweiterem Fall ein durchschnittlicher Boost-Takt von zwischen 873 und 875 MHz. Dies sind gemittelt 5,4% weniger GPU-Takt, was auch noch einmal 3-4% weniger Performance ergeben wird.

Ø Boost-Takt Differenz Performance
übliche Messung in offenem Teststand bei 21°C Raumtemperatur ohne Vorwärmphase 917-931 MHz 100% 100%
nVidia-Referenzmessung: geschlossenes Gehäuse bei 21°C Raumtemperatur mit 10 Minuten Vorwärmphase 873-875 MHz -5,4% 96-97%
Sommer/Klimaanlagen-Bedingungen: geschlossenes Gehäuse bei 25°C Raumtemperatur mit 15 Minuten Vorwärmphase 837 MHz -9,4% 93-94%

In der Summe kann somit durchaus die Situation entstehen, daß man unter Sommer- oder Klimaanlagen-Bedingungen zwischen 6 und 7 Prozent an Performance gegenüber den meisten Messungen zur GeForce GTX Titan im Internet einbüßt. Dies ändert speziell in der aktuellen Performance-Situation wenig, da die GeForce GTX Titan klar über allen anderen Karten trohnt – bei einem knapperem Feld würden 6-7% Differenz zwischen Messung und Realität jedoch sicherlich einen Deutungsunterschied ausmachen. In jedem Fall ist jedem Hardware-Tester dringend zu empfehlen, nach diesem Erkenntnissen über den GPU Boost von nVidia solcherart Grafikkarte nur noch im geschlossenen Gehäuse und mit Vorwärmphase zu testen. Alternativ kann man auch mit einem festen Takt wie beispielsweise dem offiziellen durchschnittlichen Boost-Takt der GeForce GTX Titan von 875 MHz messen – aber diese Festsetzung ist dann schon wieder Grafikkarten-spezifisch und kann nicht verallgemeinert werden.

Denn daß der Boost-Modus der GeForce GTX Titan so stark auf veränderte Umgebungsbedingungen reagiert, hängt nicht primär an GPU Boost selber, sondern vielmehr an den seitens nVidia gesetzten Grenzwerten für Temperatur und Leistungsaufnahme. Diese sind bei der GeForce GTX Titan doch sehr scharf gesetzt, womit die Karte prädestiniert ist für eine schnelle Herunterregelung des Boost-Modus im Gamer-Alltag. Bei anderen nVidia-Grafikkarten mit Boost-Modus sind die Grenzwerte für Temperatur und Leistungsaufnahme in aller Regel nicht so harsch angesetzt, hier kann sich in der Praxis dann auch unter eher ungünstigen Umgebungsbedingungen ein Taktraten- und damit Performancegewinn durch GPU Boost ergeben. Normalerweise müsste dies der Hardware-Tester für jede nVidia-Grafikkarte explizit bestimmen – gerade wenn man seine Hardware-Tests überall mit fester Taktrate ansetzt.

Als weitere, allerdings generell zu sehende Spaßbremse zum GPU Boost der nVidia-Grafikkarten haben HT4U dann auch noch praktische Beobachtungen angestellt, wann genau der Boost-Modus im Spiel auch mal wieder anzieht. Hierbei konnte anhand der Betrachtung dreier Spieletitel klar aufgezeigt werden, daß mitten im Spiel der Boost-Modus nur dann höhere Taktraten ermöglicht, wenn vergleichweise wenig Last auf der Grafikkarte liegt – beispielsweise durch eine eher CPU-limitierte Szene oder auch eine Szene, welche nur einen Teil des Grafikchips richtig auslastet.

BioShock Infinite Crysis 3 Tomb Raider
1. Messung 992,9 MHz
100,5 fps
992,9 MHz
101,5 fps
992,9 MHz
59,9 fps
2. Messung 914,5 MHz
84,7 fps
836,1 fps
75,4 fps
836,1 fps
48,4 fps
3. Messung 836,1 MHz
73,0 fps
836,1 MHz
67,1 fps
940,7 MHz
58,9 fps

Hierbei konnte man einen direkten Zusammenhang zwischen der erzielten Framerate und dem erzielten Boost-Takt erkennen: Genau dort, wo es die wenigsten fps gab, lief faktisch nie ein Boost-Modus. Dies limitiert die rein praktische Effizienz von GPU Boost doch sehr deutlich, da jenes Feature ausgerechnet dort nicht greift, wo man es am nötigsten hätte. Vielmehr kristallisiert sich GPU Boost damit immer mehr als ein Feature heraus, welches primär zum Hochtreiben von Benchmarks interessant ist: Der Mehrtakt treibt dann eben besonders schnelle Szenen (beispielsweise) von 130 fps auf 140 fps, was in der Spielpraxis keinerlei Relevanz hat, bei der Durchschnittsbildung heutiger Benchmarks allerdings trotzdem noch für den einen oder anderen Prozentpunkt mehr (scheinbarer) Performance sorgt. Bei der GeForce GTX Titan mag dies aufgrund ihres sowieso limitierten Boost-Modus keine große Rolle spielen, aber ganz generell darf das Feature "GPU Boost" auch damit arg in Frage gestellt werden.

Abschließend läßt sich sagen, daß nVidia GPU Boost ganz deutlich "mehr Schein als Sein" darstellt, da sowohl die versprochenen Boost-Taktraten nur unter idealen Bedingungen erreicht als auch mit den höheren Taktraten wenn dann nur die sowieso schon schnellen Szenen noch schneller gemacht werden. Beides taugt nur dazu, um in Benchmarks gut dazustehen, verliert jedoch nahezu alle seine Wirkungskraft im realen Spielealltag. Ob GPU Boost seitens nVidia regelrecht als "Benchmarkgewinn-Feature" geplant war, liegt im Feld der Spekulationen – aber es ist zu konstatieren, daß nVidia jenes Feature spätestens mit der GeForce GTX Titan klar in diese Richtung hin ausnutzt.

Irgendein größerer Vorteil für den Gamer durch "GPU Boost" ist dagegen kaum zu erkennen: Die damit einhergehende automatische Lüftersteuerung ist durchaus nett, allerdings auch andersweitig lösbar – während das Thema Hardware-Sicherheit gegenüber Überhitzung bei nVidia mittels extra Schutzschaltungen gelöst wird und somit hierfür nicht relevant ist. Ein wirklich greifbarer Vorteil von GPU Boost, welcher mit mehr Grafikkarten-Performance zu tun hätte, ist dagegen zumindest bei der GeForce GTX Titan nicht zu sehen. Andere nVidia-Grafikkarten können hier natürlich anders reagieren, dies hängt – wie schon gesagt – primär an den jeweils festgesetzten Grenzwerten für Temperatur und Leistungsaufnahme. Sobald jene Werte zu knapp gesetzt sind, kann sich aber auch bei jeder anderen nVidia-Grafikkarte umgehend das gleiche Bild wie bei der GeForce GTX Titan ergeben.

Allerdings ist damit noch nicht alles verloren, nVidia bietet Haus-eigene Gegenmaßnahmen gegenüber diesen Limitationen der GeForce GTX Titan und anderer Boost-betriebener nVidia-Grafikkarten. Man kann über die Tweaktools EVGA Precision und MSI Afterburner die Limits für Temperatur und Leistungsaufnahme beeinflussen, ohne das deswegen etwas bezüglich der Garantie der Grafikkarte verändert werden würde. Jene Garantie wäre erst betroffen, wenn man sich mit einem BIOS-Mod weiterhilft – welcher durchaus noch mehr Möglichkeiten hat, aber eben im Gegensatz zu diesen Tweaktools außerhalb der Garantie liegt.

So ist es mittels dieser Tweaktools möglich, im Rahmen der Garantie das Temperatur-Limit der GeForce GTX Titan von normalerweise 80°C auf immerhin 95°C zu erhöhen. Diese starke Erhöhung muß man nicht vollständig ausnutzen, schließlich wird damit natürlich auch die Lebensdauer der Hardware beeinflusst. Eine Erhöhung von 80°C auf 90°C läßt aber noch ein paar Reserven übrig, gleichzeitig wird die GeForce GTX Titan nicht mehr so deutlich an ihrer Chiptemperatur ausgebremst. Genauso kann man auch das Leistungsaufnahme-Limit von 250 auf maximal 265 Watt erhöhen. Da die GeForce GTX Titan im (unveränderten) Regelbetrieb jedoch nur eine Spiele-Leistungsaufnahme von 203 Watt aufweist, ist an dieser Stelle wohl keine zwingende Veränderung notwendig – außer man reizt die Möglichkeiten vollständig aus und setzt das Temperatur-Limit wirklich auf 95°C, dann wäre auch die Hochsetzung des Leistungsaufnahme-Limit auf 265 Watt zu empfehlen.

In diesem Fall der maximalen Hardware-Ausreizung ohne Overlocking und ohne Garantieverlust kann man – sofern ideale Umweltbedingungen samt natürlich exzellenter Kühlung herrschen – laut den Messungen von HT4U mit der GeForce GTX Titan durchaus einen Performancegewinn von 10 bis 12 Prozent gegenüber einer ansonsten auf auf ihrem durchschnittlichen Boost von 875 MHz laufenden Karte erzielen. Erst dann spielt die GeForce GTX Titan das aus, was die Karte eigentlich kann – und es schon bezeichnend, daß nVidia ausgerechnet sein Spitzenmodell derart offensichtlich einbremst. Dies zeigt doch sehr deutlich an, daß nVidia derzeit nicht mehr Performance im HighEnd-Markt benötigt – und natürlich auch, daß man sich damit Reserven für eine GeForce GTX Titan II/Ultra offenläßt.