Analyse: Durchschnittliche Grafikkarten-Verkaufspreise

Samstag, 5. September 2009
 / von Leonidas
 

Bei den X-bit Labs gibt es eine Analyse der Grafikkartenmarkt-Preise durch die Analysten vom Jon Peddie Research. Üblicherweise werden von diesen Analysen nur Zusammenfassungen frei veröffentlicht, welche meist nur einige Zahlen zu den Marktanteilen preisgeben – die kompletten Analysen sind dann allerdings kostenpflichtig (6000 Dollar im Jahr), bieten dafür aber natürlich noch viel mehr Zahlenmaterial. Allerdings werfen gerade diese vollständigeren Zahlen mehr Fragen auf, als sie beantworten: Jon Peddie Research ermitteln hierbei nämlich unserer Meinung nach (erneut) unrealistisch hohe Durchschnittspreise (ASPs = Average Selling Price) für die Verkäufe von allen extra Desktop-Grafikkarten:

 Durchschnittliche Verkaufspreise von extra Grafikkarten 2006-2009

Jetzt erscheint der für das zweite Quartal 2009 ermittelte ASP von 154,59 Dollar (ohne MwSt.) nicht als so hoch (dies sind ca. 130 Euro inkl. MwSt.), allerdings handelt es sich hierbei auch um das untere Ende der Skala. Im selben Diagramm sind aber eben auch Werte wie 273,29 Dollar (ohne MwSt.) für das Q2/07 zu finden, nach heutigem Umrechnungskurs sind das runde 230 Euro (inkl. MwSt.). Und dies erscheint uns nach wie vor als maßgeblich unwahrscheinlich: Um einen so hohen Durchschnittspreis auf den Gesamtmarkt der extra Desktop-Grafikkarten zu erzielen, muß man 300-Euro- und 400-Euro-Boliden in rauen Millionenstückzahlen über die Ladentheken bringen – um die ganz automatischen Millionenabsätze der 30-Euro-Karten bezüglich des Durchschnittspreises wieder abzufangen. Und kann sich dies jemand ernsthaft vorstellen: 5 Millionen LowCost-Beschleunigern in einem Quartal sollen Absätze von 5 Millionen HighEnd-Modelle in einem Quartal mit Absatzpreisen von 300 und 400 Euro gegenüberstehen?

Dies ist einfach unrealistisch, so hoch ist der relative Anteil von HighEnd-Modellen vielleicht im 3DCenter, aber nicht im Massenmarkt. Wir hatten im übrigen für das 3DCenter bei einer Umfrage im Oktober 2008 einen durchschnittlichen Grafikkarten-Kaufpreis unter den 3DCenter-Lesern von 225 Euro (inkl. MwSt.) ermittelt – zum seinerzeitigen Umrechnungskurs und ohne Mehrwertsteuer (wird bei US-Preisen generell nicht angegeben, da nach Bundesstaaten unterschiedlich) wären dies runde 250 Dollar gewesen. Gegenüber den seinerzeitigen ASPs laut Jon Peddie Research zwischen 145 und 207 Dollar (Q4/07 bis Q3/08) ist dies sicherlich schon ein beachtbarer Unterschied – aber wir reden hier auch von einem Vergleich zwischen 3DCenter als der "Speerspitze des Grafikkarten-Markts" ;) und dem eben dem totalen Marktdurchschnitt, hier würde man doch schon einen eher extremen Unterschied erwarten können.

Desweiteren sind auch die angegebenen und teils enormen ASP-Sprünge in den Zahlen der Jahre 2006 und 2007 unrealistisch: Innerhalb nur eines Quartals ändert sich das Kaufverhalten in einem Markt mit 20 Millionen angesetzten Einheiten nicht so abrupt, als daß plötzlich der ASP von 173 auf 273 Dollar emporschnellt (Q1/07 zu Q2/07) oder von 207 auf 145 Dollar herunterfällt (Q4/07 zu Q1/08). Zwar können Neuvorstellungen das Kaufverhalten an der Leistungspitze wesentlich beinflussen, demgegenüber stehen aber immer noch die Millionenabsätze von LowCost-Modellen, welche relativ konstant vor sich hin laufen. Wie gesagt denken wir, daß in diesen ASPs die riesigen Umsätze von LowCost- und Mainstream-Segmenten nicht wirklich wiedergespiegelt werden, wo wirklich große Stückzahlen zu Preisen von teils klar unter 100 Euro abgesetzt werden.

Wir würden den durchschnittlichen Verkaufspreis aller Desktop-Grafikkarten dagegen irgendwo im Rahmen von 100 bis 130 Euro (inkl. MwSt.) einschätzen, respektive 120 bis 150 Dollar (ohne MwSt.). Dies ergibt sich durch das Wissen, daß erstens einmal selbst im Retailgeschäft die Masse des Absatzes bei den Modellen um die 150 bis 200 Euro liegt – während die HighEnd-Modelle in so vergleichsweise kleinen Stückzahlen abgesetzt werden, daß sie kaum einen größeren Einfluß auf den ASP aller Desktop-Grafikkarten haben. Zudem wäre neben dem Retail-Segment auch immer noch – auch bei extra Grafikkarten – das OEM-Segment zu beachten, sprich Komplettrechner mit extra Grafikkarte. Hier werden mit sehr hohen Stückzahlen aber vorwiegend LowCost- und Mainstream-Beschleuniger verbaut, mit Durchschnittspreisen von eher 40 bis 60 Euro. Diese zwei wichtigen Peaks werden auch von einer Statistik seitens Mercury Research (aus der ATI-Präsentation der Radeon HD 4770/4890) bestätigt:

 Desktop Standalone Price Segmentation Share

Vorstehende Grafik ergibt ein ungefähres Gefühl für die Verteilung der Verkäufe bei extra Grafikkarten – und es läßt sich schon auf den ersten Blick erkennen, daß alles was deutlich überhalb von 150 Dollar ASP liegt, einfach unrealistisch ist. Zu beachten wäre zudem, daß diese Aufstellung seitens Mercury Research nicht die Endverkaufspreise angibt, sondern den MSRP, sprich den US-Listenpreis. Dieser kann durchaus ungefähr dem Straßenpreis entsprechen, im Normalfall liegt der reale Verkaufspreis aber runde 10 bis 20 Prozent unter dem Listenpreis. Zudem fehlt wie üblich bei allen US-Preisen die Mehrwertsteuer, da diese in den Vereinigten Staaten ja nach Bundesstaat unterschiedlich ist. Nichtsdestrotrotz haben wir das Zahlenmaterial dieses Diagramms nachfolgend zur besseren Erkenntnis noch einmal aufgeschlüsselt:

Grafikkarten-Preis (MSRP)       /       Stückzahlen-Marktanteil
10$ 0,4% 110$ 5,2% 210$ 0,8% 310$ 0,4% 410$ 0,6%
20$ 3,9% 120$ 3,9% 220$ 0,2% 320$ 0,2% 420$ 0,6%
30$ 7,4% 130$ 3,2% 230$ 0,4% 330$ 0,4% 430$ 0,2%
40$ 9,3% 140$ 2,2% 240$ 0,7% 340$ 0,4% 440$ 0,7%
50$ 8,6% 150$ 2,7% 250$ 1,3% 350$ 0,4% 450$ 0,2%
60$ 5,8% 160$ 2,2% 260$ 1,8% 360$ 0,2% 460$ 0,9%
70$ 4,4% 170$ 2,0% 270$ 1,5% 370$ 0,6% 470$ 1,5%
80$ 3,8% 180$ 1,5% 280$ 3,0% 380$ 0,4% 480$ 1,1%
90$ 5,2% 190$ 0,8% 290$ 1,0% 390$ 0,7% 490$ 0,5%
100$ 5,6% 200$ 0,2% 300$ 0,2% 400$ 0,2% 500+ $ 0,6%

Daraus ergeben sich erst einmal abgesehen vom Durchschnittspreis einige interessante Aussagen: So kann man mittels dieser Zahlen die Größe der jeweiligen Marktsegmente ziemlich gut bestimmen. Dazu haben wir zum einen eine streng mathematische Aufteilung nach jeweils 100-Dollar-Grenzen gewählt und zum anderen eine "freischaffende" Aufteilung der Marktsegmente:

Aufteilung der Marktsegmente

Jene freischaffende Aufteilung der Marktsegmente ist natürlich aufgrund der von uns subjektiv gesetzten Grenzen nicht auf die Goldwaage zu legen, trotzdem läßt sich recht gut erkennen, wo die die Umsatzschwerpunkte liegen: Der Markt teilt sich stückzahlentechnisch ungefähr zu Dritteln auf in LowCost-Segment, Mainstream-Segment und Performance/HighEnd-Segment. Damit ist auch klar, daß der Durchschnittspreis aller Karten immer im Mainstream-Segment liegen muß, welcher unsererseits wie gesagt bei 70 bis 140 Dollar MSRP angesetzt wurde.

Und genau dort bewegt sich der durchschnittliche MSRP laut den vorstehenden Angaben von Mercury Research für das vierte Quartal 2008 auch: Runde 138 Dollar MSRP ergab die Rechnung – was wie gesagt nicht dem von Jon Peddie Rearch benutztem ASP (durchschnittlichem Straßenpreis) entspricht, sondern den US-Listenpreisen. Gemäß dieser Ausgangslage ist der durchschnittliche Straßenpreis auf ca. 120 bis 130 Dollar (vor MwSt.) zu schätzen. In Deutschland sind dies gemäß aktuellem Umrechnungskurs und unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer runde 100 bis 110 Euro – was beides absolut im Rahmen unserer langjährigen Schätzungen liegt.

Ein Wort noch zu den Schwankungen der durchschnittlichen Straßenpreise, auch wenn wir auf diesem Themenfeld nur bessere Vermutungen aufstellen können: Die Zahlen von Mercury Research beziehen sich auf das vierte Quartal 2008, in welchem also schon die Wirtschaftkrise anfing zu wuchern, gleichzeitig es aber auch einige Neuvorstellungen an Grafikkarten gab und welches demzufolge geradeso noch als "typisches" Quartal durchgehen kann. Aktuell dürften die Durchschnittspreise dagegen etwas gesunken sein, weil die großen Neuvorstellungen über einen längeren Zeitraum ausgeblieben und durch den ständigen Preiskampf der Hersteller die Preise vieler potenter Karten in den Keller gegangen sind – die Käufer bekommen derzeit sehr viel Grafikkarte fürs Geld, womit das Kaufen in höherpreisigen Regionen kaum noch lohnt.

Diese Situation dürfte speziell die Umsätze im Performance- und HighEnd-Segment stark reduzieren und den entstehenden Umsatzschwund primär dem Mainstream-Segment zuschlagen, mit natürlich Auswirkungen auf den durchschnittlichen Straßenpreis aller Desktop-Grafikkarten. Allerdings steht diesem Effekt auch entgegen, daß das Geschäft gerade im LowCost-Segment von allen Krisen fast unbedeindruckt weiterläuft – manche der LowCost-Preise sind ja auch so niedrig, daß man gar nicht wesentlich tiefer gehen kann. Dies fängt gerade den Effekt der niedrigeren Durchschnittspreise bei den höherwertigen Karten wieder etwas ab, so daß der derzeitige Durchschnittspreis über alle Desktop-Grafikkarten vielleicht durchaus 10 bis 15 Dollar/Euro niedriger liegen kann. Dies dürfte sich aber schon mit der Markteinführung der kommenden DirectX11-Beschleuniger wieder ändern, dann gibt es auch wieder erhebliche Anreize in höherpreisigen Segmenten zu kaufen.

In jedem Fall läßt sich hiermit erstmals belegen, daß die seitens Jon Peddie Research ab und zu geäußerten Zahlen zu durchschnittlichen Grafikkarten-Verkaufspreisen nicht korrekt sein können. Dies betrifft dabei nicht nur die ganz offensichtlich nicht passenden Angaben der Jahre 2006 und 2007, sondern auch die eher aktuellen Angaben – welche durchaus schon in die richtige Richtung gehen, aber dennoch weiterhin zu hoch angesetzt sind. Wir hatten dies bislang aufgrund gesundem Menschenverstands vermutet, konnten diesen Punkt aber bis dato nicht wirklich belegen.

Warum Jon Peddie Research hier bei den ASP-Berechnungen so falsch liegt, läßt sich im übrigen nur vermuten: Möglicherweise stammt das hierzu benutzte Zahlenmaterial nur aus unvollständigen Stichproben, möglicherweise ist es sogar faktisch unmöglich, zu den ASPs im Grafikkarten-Markt einen wirklich genauen Überblick zu erhalten. Schließlich laufen die ASPs nur bei den Einzelhändlern auf – und die kann man aufgrund der schieren Anzahl sicherlich kaum alle befragen. Die von Jon Peddie Research üblicherweise zur Ermittlung der Stückzahlen-Umsätze herangezogenen Hardware-Distributoren und Grafikkarten-Hersteller haben dagegen keine letztlichen Einzelhandels-Straßenpreise vorliegen, sondern nur ihre Zwischenpreise – und diese sind üblicherweise strenges Geschäftsgeheimnis. Deswegen haben Mercury Research auch gleich auf MSRPs gesetzt, selbst wenn diese auch nicht ganz die Straßenpreise wiederspiegeln – aber jene MSRPs sind eben sicher verifizierbar und offiziell erhältlich.

Ok, wir wollen an dieser Stelle nicht übermäßig auf Jon Peddie Research herumreiten, welche schließlich immer wieder wertvolle Analysen zum Marktgeschehen auf dem Grafikchip-Markt erarbeiten. Mitzunehmen gilt allerdings, daß die von Jon Peddie Research verbreiteten Angaben zu durchschnittlichen Grafikkarten-Straßenpreisen offensichtlich nicht korrekt sind und daß diesbezüglich die Angaben von Mercury Research viel eher zielführend sind. Nach diesen liegt der durchschnittliche Grafikkarten-Straßenpreis zu Normalzeiten bei ca. 120 bis 130 Dollar (ohne MwSt.) bzw. 100 bis 110 Euro (mit MwSt.), wobei dieser Durchschnittspreis aktuell durch Wirtschaftkrise und längere Zeit Innovationsstau auch etwas niedriger liegen kann.