Zieht mein 600W-Netzteil immer 600W aus der Steckdose?

Samstag, 28. Juni 2008
 / von anddill
 

Zieht mein 600W-Netzteil immer 600W? Nein. Möglicherweise sogar 700W. Das ist kein Scherz, und warum das so ist, wird in diesem Artikel erläutert.

Der Zusammenhang ist eigentlich ganz einfach. Wenn man folgende kleine Formelsammlung einmal verinnerlicht hat, ist das Problem eigentlich schon geklärt:

Eingangsleistung = Ausgangsleistung / Wirkungsgrad

Wirkungsgrad = Ausgangsleistung / Eingangsleistung

Ausgangsleistung = Eingangsleistung * Wirkungsgrad

Wer in Mathe wenigstens anwesend war, wird schnell erkannt haben, dass dies immer die selbe Formel ist, nur jeweils umgestellt. In der obersten Form kann man bei vorgegebener Leistungsaufnahme der Komponenten und bekanntem Wirkungsgrad die Leistungsaufnahme aus dem Stromnetz berechnen. Die mittlere Version braucht der Hersteller des Netzteils, um den Wirkungsgrad für die Hochglanzprospekte zu ermitteln. Hat man mit einem Leistungsmesser selbst nachgemessen, wie viel Leistung der Rechner aus dem Netz zieht, kann man mit der letzten Version die reale Leistungsaufnahme der Hardware berechnen.

Nirgends in den oben genannten Formeln taucht die Nennleistung oder maximale Leistung des Netzteils auf. Und zwar deshalb, weil sie völlig irrelevant ist. Sie hat keinen Einfluss auf die Leistungsaufnahme, sondern gibt nur an, wie weit man es treiben kann. Genauer: Wie viel Leistung auf der Niederspannungsseite, also aus den 12V, 5V, 3,3V und den negativen Spannungen insgesamt maximal an Ausgangsleistung entnommen werden kann bzw. darf.

Was das für die einzelnen Betriebszustände des Netzteils bedeutet, verdeutliche ich hier mal mit einigen kleinen Diagrammen. Der Strom ist hier gelb, das Netzteil grau. Es ist nur die Gesamtleistungsabgabe dargestellt, also alle Spannungsebenen zusammengerechnet. Um die Rechnerei einfach zu halten, nehme ich mal an, es ist ein 400W-Netzteil mit knapp 80% durchschnittlichem Wirkungsgrad. Links ist die Netzseite, also 230V~, rechts die Ausgangsseite, also die Leitungen zum Mainboard, der Grafikkarte und den Laufwerken.

Energiefluss eines Netzteils im Leerlauf

Der PC ist zwar aus, das Netzteil ist aber eingeschaltet (also ATX-Aus). Es versorgt die Spannungswandler für die Standby-Spannung und einige Regelkreise, es wird aber keine Leistung abgegeben. Trotzdem werden einige Watt aufgenommen. Der Wirkungsgrad in diesem Zustand ist 0. Würde man das Netzteil jetzt starten, aber immer noch keine Leistung entnehmen, würde es geschätzte 15-20W für seine Regelkreise, Wandler und den Lüfter ziehen. Diese Leistung braucht das Netzteil für sich selbst. Daher ist der Wirkungsgrad bei niedrigen Leistungen immer recht schlecht.

Energiefluss eines Netzteils bei Teillast

Hier läuft der PC mit wenig Last. Der optimale Wirkungsgrad ist erreicht. Wenn man mal die oben genannte Formel nimmt und die Zahlen einsetzt, zeigt sich der Zusammenhang:

Eingangsleistung (250W) * Wirkungsgrad (0,8) = Ausgangsleistung (200W)

Die rund 15W Eigenbedarf verstecken sich jetzt in den 50W Verlust, die fast vollständig als Wärme abgeführt werden müssen (nur die Bewegungsenergie der Abluft ist noch keine Wärme). Hier erkennt man schon, dass kräftig dimensionierte Netzteile weniger Probleme haben, hohe Wirkungsgrade zu erreichen und sich mit schicken 80+ Aufklebern zu schmücken. Ganz einfach deshalb, weil die Messpunkte immer vom der maximalen Belastung aus festgelegt werden. Der unterste ist 20% der Vollast (die anderen liegen bei 50% und 100%). Das bedeutet für ein 300W-Netzteil, daß es bei 60W gemessen wird. Ein 800W-Bolide wird bei 160W gemessen, da geht der Eigenbedarf schon unter.

Energiefluss eines Netzteils bei Vollast

Jetzt wird gespielt, der QuadCore und das SLI-Gespann treiben das Netzteil an die Grenze. Rein rechnerisch sollte bei 400W Leistungsabgabe die Leistungsaufnahme 500W betragen. Bei Vollast steigen aber die Verluste in den Kupferdrahtwicklungen und den Halbleitern immer stärker (grob gerechnet mit dem Quadrat des Stromes, nach P = I² x R, hier konkret Verlustleistung = Laststrom² x Innenwiderstand), so dass der Wirkungsgrad immer schlechter wird. Der Eigenbedarf ist dabei immer noch konstant (bis auf ein paar mW, die der Lüfter bei voller Drehzahl mehr verbraucht).

Die Abwärme des Beispielnetzteils liegt in diesem Betriebszustand bei satten 120W. Der oben genannte 800W-Bolide wäre bei dieser Last gerade mal warmgelaufen und würde jetzt seinen optimalen Wirkungsgrad erreichen. Die Verluste und die Abwärme wären damit geringer. Steigert man jetzt die Leistungsentnahme immer weiter, wird auch die Eingangsleistung weiter steigen. Bis entweder eine Sicherung anspricht oder das Netzteil schlicht abraucht.

Kommen wir zu der oben aufgestellten Behauptung zurück, dass ein 600W-Netzteil durchaus mehr als 600W aus dem Netz ziehen kann. Dies kann passieren, wenn man das Netzteil ausgangsseitig stark oder voll belastet. Kommt dann noch ein schlechter, aber durchaus üblicher Wirkungsgrad von z.B. 70% dazu, nimmt das Gerät 600W / 0,7 = 857W aus dem Stromnetz. Die Leistungsangabe auf dem Typenschild hat also wenig mit der tatsächlich aufgenommenen Leistung zu tun. Die wird meist darunter, manchmal auch darüber liegen. Ein genauer Treffer wäre ein echter Zufall.