Wettbewerb in der IT-Branche: Lug und Trug

Sonntag, 21. Juni 2009
 / von Armaq
 

Die jüngste Entscheidung der Europäischen Kommission, gegen Intel eine Strafe in Höhe von 1,06 Mrd. Euro zu verhängen, in Verknüpfung mit den zahlreichen Entscheidungen gegen Microsoft lässt die Frage aufkommen, ob in der IT-Branche ein echter Wettbewerb überhaupt möglich ist. Auch könnte man sich fragen, ob diese Entscheidungen der Europäischen Kommission politisch motiviert sind – schließlich handelt es sich um Vorzeigefirmen aus den USA. Bevor man sich in wilden Spekulationen verliert, wäre ein Blick auf die rechtlichen und politischen Hintergründe durchaus angebracht und notwendig. Der interessierte Leser fragt sich sicherlich, wie die Mechanismen denn nun funktionieren, die zu solchen Strafen führen und warum es uns alle betrifft.

Da wir in den kurzen Newsmeldungen zumeist nur immer kleiner verhackstückte Brocken serviert bekommen, soll an dieser Stelle ein wenig gründlicher über die Vorgänge berichtet werden. Die Gedanken, die sich Juristen bei der Beantwortung der Frage nach einem wettbewerbsrechtlichen Problemfall stellen, werden aufgegriffen und im Überblick erläutert. In den Nachrichten wurde von der Europäischen Kommission und Wettbewerbsverstößen berichtet, doch woher kommt die Legitimation der Kommission und wogegen genau verstoßen die Unternehmen denn? Diese Fragen werden hoffentlich im folgenden Artikel beantwortet.

Die Europäische Union

Die Europäische Union hat ihren Ursprung in den Verträgen über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl aus dem Jahr 1951. Vor über 50 Jahren und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war man sich der Bedeutung einer gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zum Wiederaufbau Europas bewusst. Dieser Ursprungsvertrag wurde immer weiter entwickelt. Das ursprüngliche Ziel blieb dabei immer im Fokus, obwohl derartige Projekte über lange Zeitspannen meistens zur Selbstzersetzung neigen.

Bestes Beispiel für einen schlechten Verlauf wären die Vereinten Nationen (UNO): Kaum mit wirkungsvollen Mechanismen ausgestattet ist ihre Rolle mehr als zweifelhaft, obwohl ihre grundsätzliche Deklaration, eine Plattform zur Völkerverständigung zu sein, überaus nobel ist (zur Rolle von internationalen Organisationen in der Weltwirtschaft: Internationales Wirtschaftsrecht, Matthias Herdegen, Verlag C.H. Beck).

Die Europäische Union schöpft ihre Macht dagegen aus dem Verzicht der Mitgliedsstaaten, bestimmte Rechtsgebiete und Sachverhalte national zu regeln. Dieser Verzicht ist in der Historie einmalig und gilt als einer der größten Errungenschaften der modernen Politik. Die EU selbst wird als supranationale Organisation klassifiziert. Supranational deshalb, weil sie als ein Schirm über vielen Staaten sitzt und ihre Rechtsakte jeweils vor den individuellen Regelungen der Mitgliedsländer stehen, im Falle einer Konkurrenz geht also Europarecht vor (hierzu existiert ein ruhender Rechtsstreit; die sogenannten "So lange"-Entscheidungen des BVerfG beschäftigen sich mit dem Vorrang von Europarecht vor dem Grundgesetz). Die EU finanziert sich aus den Beiträgen ihrer Mitgliedsländer, die eigentliche Idee war eine Kopplung an die Umsatzsteuerumsätze (Mehrwertsteuer) jedes Mitgliedslandes – inzwischen ist es ein Teil des Bruttonationaleinkommens.

Die (ursprüngliche Idee der) Kopplung an die Umsatzsteuer darf übrigens als genial bezeichnet werden. Die EU verschreibt sich einem freien Markt und koppelt ihr Budget an das Steueraufkommen aller Handelsvorgänge, denn die Umsatzsteuer fällt nur an, wenn tatsächlich gehandelt wird.

Den Fehler "des machtlosen Wesens" begingen die Schöpfer der EU nicht. Der EU zugeordnet sind unterschiedliche Organe, die über realen Einfluss verfügen, allen voran die Europäische Kommission. Ihre Rolle innerhalb der EU kommt der eines deutschen Ministeriums nahe. Sie führt die Geschäfte der EU. Sie entwirft auch die Verordnungen und Richtlinien, die großen Einfluss auf die Rechtsordnungen der Mitgliedsländer haben. Ihre Position und Aufgabenbereiche regeln sich grundlegend aus den Artikeln 211 fortfolgend des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (kurz EGV).

Interessant ist in diesem Zusammenhang ihre Rückkopplung an das Europaparlament. Die Mitglieder der Kommission müssen vor ihrer Einberufung dem Parlament Rede und Antwort stehen (Art. 214 EGV). Im Ernstfall wird die gesamte Kommission abberufen, aufgrund der Verfehlungen eines einzelnen Mitglieds (so geschehen im Jahr 1999). Nicht gemeint sind damit die Beamten, sondern nur die für fünf Jahre ernannten Vorsitzenden, zwanzig an der Zahl.

Die Kompetenzen der EU-Kommission liegen im exekutiven Bereich, vor allem aber ist sie auch die Hütern der Grundfreiheiten aus Artikel 14 EGV. In Absatz 2 heißt es: "Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist".

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist ebenso Wächter, aber ihm obliegt eher die Klärung von juristischen Auslegungsfragen. D.h. der Gerichtshof klärt, was sich hinter den Termini, wie z.B. "der freie Verkehr von Waren", verbirgt. Er korrigiert somit gegebenfalls die Ansichten und Entscheidungen anderer Institutionen und ist die höchste Entscheidungsinstanz.

Die Kommission ist allerdings nur innerhalb bestimmter Grenzen befugt, die sich aus dem Subsidiaritätsprinzip ergeben. In Artikel 5 EGV wird genauer definiert, dass die Gemeinschaft nur tätig wird, wenn die Ziele durch eine Maßnahme auf Landesebene nicht zufriedenstellend erreicht werden können. Hier setzen wir im Hinblick auf die Entscheidungen gegen Intel und Microsoft an, indem wir kurz auf die deutsche Regelung verweisen und erläutern, warum die EU zuständig ist.

Der Markt

Im Grunde genommen versucht das Wettbewerbsrecht die Fehlleistungen des Marktes zu korrigieren. Der Markt an sich ist als Abstraktion zu verstehen und begeht auch keine Fehler, allerdings beeinflussen die Akteure das Marktgeschehen und setzen die eigentliche Funktionsweise außer Kraft. Wenn wir von dem Begriff Markt ausgehen, betrachten wir hier vor allem die volkswirtschaftliche Definition: "Das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage, mit dem Ziel einer Wertfindung für ein Produkt oder eine Dienstleistung", soll hier genügen.

Wie wir alle mitbekommen haben funktionieren diese Mechanismen nicht zuverlässig. Bestimmte Akteure auf den Märkten – allen voran Finanzmärkten – sind in der Lage, die Märkte zu dominieren, oder aber zumindest weitgehend zu beeinflussen. Im Geldwesen waren große internationale Finanzinstitute für den Niedergang des Systems verantwortlich. Ihre Gier hat zu Geschäften geführt, die zwar im Markt möglich, aber volkswirtschaftlich nicht wünschenswert sind. Im Wechselspiel ruinierten sie einen relativ lasch regulierten Markt.

Uns interessiert hier allerdings vielmehr die Verschiebung zu einer einzelnen Partei. Mit dieser Möglichkeit einer Verschiebung der Kräfte zu einem dominanten Akteur oder einer Gruppe beschäftigt sich das Kartellrecht. In Deutschland ist es das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). In ihm werden die Sachverhalte erfasst, die nach gemeiner Auffassung als schädlich anzusehen sind. Die allgemeine Regel des § 1 GWB verbietet alle Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Wettbewerb in irgendeiner Weise behindern – im EGV ist es der Artikel 81.

Dieser Regelkatalog ist natürlich nicht nur in Deutschland vorzufinden, sondern in allen Mitgliedsstaaten der EU. Bevor ein Staat Mitglied wird, muss es eine gewaltige Aufgabe stemmen. Der "acquis communautaire" muss von den Bewerbern vollständig übernommen werden. Dieser beinhaltet alle Rechtsakte der EU und soll die Auffassung von Recht und Ordnung widerspiegeln, die von allen Mitgliedern getragen wird. Weiterführend gibt es spezielle Regelungen, die einen Missbrauch marktbeherrschender Stellung verbieten. Im deutschen Recht sind es die §§ 19 ff. GWB, im EGV in Artikel 82 geregelt.

Wir können anhand der Erwähnung im Grundlagenvertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erkennen, dass diesen Tatbeständen eine große Bedeutung beigemessen wird. Denn tatsächlich ist die Idee eines freien Binnenmarktes wunderbar – aber wie jede Idee Chancen birgt, so birgt sie auch Risiken. Die Teilnehmer im Markt können zu mächtig werden und damit die Grundidee zerstören, oder eine Gruppe von Unternehmen schließt sich zusammen, um die Preise auf einem für sie günstigen Niveau zu halten. Hier beginnen die Probleme, mit denen sich die Wettbewerbsbehörden auseinandersetzen müssen.

Wie vorstehend erwähnt, darf die EU nur tätig werden, wenn Maßnahmen auf Ebene der Mitglieder nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Im Wettbewerbsrecht gibt es dazu eine Verordnung, die Verordnung 1/2003 (liest sich: eins aus zweitausenddrei). In ihr wird grundsätzlich definiert, dass die Wettbewerbsbehörden, wenn sie Landesrecht anwenden, das die Artikel 81 und 82 betrifft, auch immer gleichzeitig Europarecht anwenden (Artikel 3 VO 1/2003). Es geht dann um weitere Vorschriften zur Zusammenarbeit und Aufgabendelegation. Der Sache nach ist es also eine Verfahrensvereinfachung für europaweite Zusammenarbeit in Fragen des Wettbewerbsrechts.

Wie man sich vorstellen kann, gibt es viele Sachverhalte, in denen die einzelnen Behörden der Länder tätig werden, die aber den überwiegenden Teil der EU betreffen. Gerade in Branchen, die große Investitionssummen verlangen, sind solche länderübergreifenden Vereinbarungen zwischen Unternehmen denkbar. Hier greift das oben erwähnte Subsidiaritätsprinzip ein und die Kommission darf eine Regelung treffen, die alle Mitgliedsstaaten umfassend betrifft und wird dabei von den nationalen Ämtern unterstützt. Intel und Microsoft agieren weltweit und verkaufen ihre Produkte überall, dennoch sind bestimmte Märkte besonders interessant – Europa gehört zu eben diesen Schlüsselmärkten.

Die Bedeutung des Binnenmarktes Europa (im Sinne der EU) ist für international agierende Konzerne immens. Um die 500 Millionen Konsumenten, mit einem am Welteinkommen gemessen überdurchschnittlichen Verdienst, können, wenn die Produkt einmal die EU-Zollschranke passiert haben, ohne Beschränkungen angesprochen werden (von besonderen Regelungen wie z.B. bei Medikamenten einmal abgesehen). Weiterhin vorteilhaft für Unternehmen ist, bedingt durch die Grundfreiheiten, auch die Wahl des Standorts in der EU. Es entfällt, bis auf den Bereich der Steuern, weniger Verwaltungsaufwand für die einzelnen Länder innerhalb des Wirtschaftsraums. Daher gründen viele Unternehmen nur noch Zentralen für Europa in einem der Länder und nicht in jedem Land selbst; der Kodex gleicht sich an. Wir sprechen also von einem effizient zu verwaltenden Markt, der großes Absatzvolumen und vergleichsweise niedrige Hürden verbindet.

Der Fall Microsoft

Microsoft gilt als eines der renommiertesten Unternehmen der Welt. Sein Erfolg ist vielfach beschrieben und vielleicht doch nie wirklich präzise getroffen worden. Die von der Kommission angeprangerte und vom Europäischen Gerichtshof in erster Instanz bestätigte Strafe von 497 Millionen Euro erging aufgrund der Marktmacht von Microsoft. Die in der Klage angesprochenen Punkte sind für viele Heimnutzer und Anwender nur schwer nachzuvollziehen, belegen aber einige Probleme in der Rechtsdurchführung.

Ein Fakt, dem dabei unbedingt Beachtung geschenkt werden muss, ist die klagende Partei. Im angeführten Urteil hat die Kommission ein Bußgeld verhängt und Microsoft im Rechtsweg Beschwerde eingelegt. Grundsätzlich könnten auch Firmen gegen Microsoft klagen, was auch viele schon taten, aber diese Klagen verliefen oft im Sand, weil Microsoft eine außergerichtliche Einigung erzielte, oder den Kläger schlicht kaufte – beides kann man ruhigen Gewissens als Schweigegeld betrachten. Es braucht also eine übergeordnete Instanz, die in einem Rechtsraum die Interessen ihrer Gemeinschaft, auch gegen GlobalPlayer, vertritt. Diese Aufgabe trägt die EU-Kommission.

Die juristischen Schwierigkeiten liegen in solchen Verfahren einerseits in der Abgrenzung des relevanten Marktes (siehe Randziffer 22 ff. im Urteil), andererseits in der Beweisführung und in dem Nachweis der Marktbeherrschung (siehe Randziffer 30 ff. im Urteil). Der Jurist muss stichhaltig klären, was der sachlich, räumlich und zeitlich relevante Markt ist. Denn geurteilt werden kann nur über einen Sachverhalt, den alle gleich verstehen. Außerdem muss es dem Beklagten möglich sein, Stellung zu nehmen und sich zu den konkreten Anklagepunkten zu äußern.

Dabei gibt es auch Unterschiede in den Rechtssystemen. Kontinentaleuropa hat ein sogenanntes kodifiziertes Rechtssystem. Eine abstrakte Regel soll einen konkreten Sachverhalt regeln. Großbritannien, die USA und andere Länder haben sogenannte Case-Laws (zur Einführung empfohlen: Rainer Wörlen, Introduction to English Civil Law Vol. 1-2, Verlag Alpmann Schmidt): Aus einem konkreten Einzelfall leitet ein Richter allgemeine Grundsätze ab. Im Ergebnis liegen beide Rechtsordnungen oft nah beieinander, sind aber technisch völlig unterschiedlich.

Prinzipiell diskutiert ein Jurist Begrifflichkeiten und schränkt ihre Bedeutung ein, oder weitet sie aus. Falls im Case-Law eine verbindliche Rechtsnorm durch die Legislative geschaffen wird, wird diese in absoluter Ausführlichkeit dargelegt, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Wer einen Blick in die zitierten Bestimmungen wirft, kann selbst feststellen, dass in der EU beide Systeme vereint werden. Oft gibt es Erwägungsgründe, die ausführlich den Zweck darlegen und Teil des Rechtsakts sind, obwohl ein abstrakter Gesetzestext vorhanden ist. Trotzdem bleiben ungeklärte Begriffe offen, die ein Gericht klären muss.

Microsoft ist natürlich in der Lage, unzählige Experten zu zitieren, die ihrer Auffassung Gewicht verleihen. Die Hauptstreitpunkte, ob Protokolle und Interoperabilitätsschnittstellen unzureichend oder gar nicht dokumentiert wurden, ob die Implementierung des Mediaplayers rechtswidrig ist und ob die Verknüpfung der Funktionen untereinander den Wettbewerb einschränkt, werden lang und breit ausgeführt (siehe Randziffer 36 ff. im Urteil). Microsoft musste hier eine Niederlage hinnehmen. Die Richter kamen zu der Auffassung, dass Microsoft, aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung in den drei definierten relevanten Märkten, verpflichtet ist, stärkeren Wettbewerb dadurch zuzulassen, dass sie ihre Schnittstellen offenlegen und externe Anbieter darauf zugreifen können, sowie die Möglichkeit für den Nutzer schafft, den Mediaplayer nicht zu installieren – ergo soll dem Käufer die Wahl gelassen werden.

Microsoft entgegnete übrigens stichhaltig, dass andere Betriebssysteme solche Bestandteile auch hätten (Mediaplayer) und der Kunde sie als selbstverständlich ansieht – sie werden auch bei Apple und Linux mitgeliefert. Der Grund für die Nichtbeachtung des Arguments im Fall von Microsoft liegt in der marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens, welcher bei Apple und Linux schlicht nicht gebeben ist.

Im Grunde war der Fall simpel: Ein Unternehmen gewährt externen Unternehmen keinen Zugriff auf seine Produktinterna und installierte zusätzliche Bestandteile ungefragt mit. Gäbe es drei oder vier gängige Betriebssysteme und ihre Serverpendants, wäre Microsoft nie in diese Situation gekommen. Aus Art. 82 EGV ergeben sich aber besondere Pflichten, wenn ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehat. Diese Pflichten dienen der Funktionsfähigkeit des Marktes (in diesem Fall dem Markt der Betriebssysteme für Heimcomputer und Server).