Die Welt berichtet über ein schönes Beispiel, wohin unsere vollüberwachte Gesellschaft führt: Da wird einem (zu einem Germanistenkongress) in die USA eingeladenen deutschen Schriftsteller die US-Einreise verweigert – und zwar ganz offensichtlich wegen dessen kritischer Haltung zur weltweiten Überwachung durch die US-Geheimdienste. Dabei ist von diesem deutschen Schriftsteller ansonsten nichts negatives bekannt, er hat allein sein Menschenrecht auf Meinungsfreiheit verwendet – und wurde dafür mit dem partiellen Verlust der Reisefreiheit bestraft.
Dies kann man sicherlich als Einzelfall oder auch als Auswuchs betrachten. Doch realistischerweise verbirgt sich dahinter System – und zwar dasselbe System, was bisher alle Überwachungsgesellschaften gekennzeichnet hat: Gewinnen die Überwacher die Oberhand und können das gesamte System diktieren, sind Auswüchse wie dieser absolut zwangsläufig. Dann fängt das Überwachungssystem ganz automatisch an, auch gegen Personen vorzugehen, die außerhalb des eigentlichen Überwachungsauftrages stehen – und zwar nicht nur durch platte Überwachung, sondern auch durch Handlungen. Der Anfang wird hierbei immer bei den Überwachungskritikern gemacht – in gewissem Sinne logisch, da diese die natürlichen Feinde der Überwacher sind. Und dann geht es schnell weiter in Richtung politisch Andersdenkender, Vertreter alternativer Lebensstile und letztlich allen, die irgendwie von der Norm abweichen.
Ohne den Teufel jetzt an die Wand malen zu wollen, ist aber allein schon die Verfolgung von (unbescholtenen) Überwachungskritikern Grund genug, eingehend innezuhalten: Schon in diesem ersten Fall offenbart die Überwachungsgesellschaft nämlich all jene Probleme, vor welchem die Überwachungskritiker immer warnen. Im kleinen bedeutet das, daß wir darauf konditioniert werden, bestimmte Standpunkte nicht mehr öffentlich zu vertreten bzw. bestimmte Dinge von jeglicher Kritik auszunehmen, um uns nicht Sanktionen oder aber zumindest ein schlechtes Standing einzuhandeln. Ein bekannter deutscher Schriftsteller kann mit einem faktischen Einreiseverbot in die USA leben, er steht zudem unter dem Schutz der Öffentlichkeit. Aber wir als Normalbürger wollen uns in aller Regel nicht alle Möglichkeiten verbauen und haben zudem keine besondere Schutzengel, wenn wir irgendwann einmal auf der "falschen Liste" landen sollten.
Im großen bedeutet dies, daß die Gesellschaft damit nicht mehr in der Lage ist, frei und fair über einen wesentliche Punkt in der Gesellschaft zu diskutieren – nämlich darüber, wie viel oder wie wenig Überwachung notwendig ist. Die Diskussion wird dann nur noch von Politiker selber geführt, die sich in aller Regel als Herren des Systems sehen und natürlicherweise kein Problem mit mehr Bürgerüberwachung haben. Sollte das System wirklich "einreißen" – und genau solche Meldungen wie die vorstehend verlinkte zu dem deutschen Schriftsteller werden zu diesem Effekt führen – wird sich der Normalbürger hingegen aus dieser Diskussion in Zukunft bewußt oder unbewußt heraushalten.
Damit wäre dann jedoch der erste Schritt getan – und zwar dieser Schritt, welcher alle nachfolgenden viel einfacher macht: Es wäre eine Mauer in den Köpfen errichtet, an welcher ein Tabu-Thema abprallt. Einmal aufgebaut, können hier weitere Tabu-Themen problemlos folgen. Sobald die Kritik an den Überwachern in der reinen Praxis nicht mehr folgenlos diskutiert werden kann, bauen sich die Überwacher schließlich eine unangreifbare Machtposition auf: Sie sitzen in einem Sattel, welcher über jeglicher Diskussion steht. Wer glaubt, daß diese unangreifbare Machtposition nicht eines Tages zu mehr (oder viel mehr) ausgenutzt werden wird, ist nur als Narr zu bezeichnen. Machtmißbrauch ist eine völlige Normalität in Politik & Verwaltung, dies liegt in der Natur des Menschen. Eine dann auch noch offensichtliche Einladung zum Machtmißbrauch wird daher niemals lange unangenommen bleiben.
Deswegen ist ein besonderer Punkt erreicht, wenn die Kritik an Überwachung schon zu klaren Nachteilen führt. Hält dieses System an, wird es automatisch die Kritik an Überwachung in der Normalbevölkerung auf ein Mindestmaß herunterdimmen, wird damit ein Tabu-Thema erzeugt werden. Und von diesem Punkt aus führt dann kein Weg mehr zurück aus der "echten" Überwachungsgesellschaft mit all ihren unabgenehmen Konsequenzen. Eine solche Überwachungsgesellschaft könnte dann höchstens irgendwann einmal in ferner Zukunft an ihren inneren Widersprüchen ersticken. Üblicherweise passiert so etwas jedoch kaum ohne größere "Turbulenzen" aka gewaltsamen Umstürzen, von den vielen Opfern im Laufe des Bestehens der Überwachungsgesellschaft gar nicht erst zu reden.
Wenn die reine Kritik an der Überwachungsgesellschaft einem Bürger schon Nachteile bringt, ist der Ofen aus. Damit fängt der Tod der Meinungsfreiheit an – und dies führt uns letztlich zwingend heraus aus der Demokratie.